Sie schenkte ihm eine
 weiße Rose



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Das war sonderbar, zugegeben. Denn  noch nie hatte sie ihm Blumen geschenkt, während er sie bei manchen Treffen mit einem Strauss feuerroter Rosen überrascht hatte. Seine Rosen, die feuerroten, mussten  riechen, süßlich tief, von Zärtlichkeit schwanger - danach hatte er jeweils den Strauss zusammengestellt. Meist waren es die kleinen, kurzen, vielleicht sogar ein wenig verkrüppelten Rosen, die sonst eigentlich keiner beachtete, und die auch im Regal des Floristen weiter hinten standen, während die langstieligen, grosskopfigen den Platz in der ersten Reihe beanspruchten. Und auch diese in den allerschönsten Farben: rosa, gelb, leuchtend wie die Sonne, schwarz, und vor allen Dingen feuerrot. Hochgewachsen und gerade, fast ein wenig überheblich und dazu stolz - denn nur wenige Blätter und Dornen lenkten von den Blüten ab. Bei all ihrer Pracht hatten sie nur leider vergessen, dass Rosen riechen - ihren eigenen Duft hatten sie vergessen. Somit waren sie nur schön zum Anschauen, nicht aber verführten sie zum Träumen, wenn sich die Sinne öffnen durch den Duft. Aber das wussten die Langstieligen in ihrer Voreingenommenheit  nicht und auch mancher, der für seine Liebste diese Rosen aussuchte, achtete nur auf Farbe und Größe, ohne je daran zu riechen - da wäre ja dann auch nichts gewesen, kein Traum, kein Verlangen, kein Duft - der Schein der trügerische reichte.

Die weisse Rose, sie hatte sie ihm in die Hand gegeben. Er schwieg. Aber ihr Duft strömte und verzauberte den Augenblick - wie wenn alle Liebe die Seele anrührt und die Herzen schlagen lustvoll Wissen und Begehren, die Augen feucht werden, so viel Innigkeit, mit der sie sich hingab.

Ihr Blick ruhte auf seinen Augen - er öffnete sie nicht. Er sah ernst aus, konzentriert und still, wie jedes mal, wenn er sich versenkt hatte,  um in der Tiefe die andere Dimension seines Lebens zu erspüren. Er war einfach nur da. Schweigend, ohne Absicht. Die Rose in seiner Hand. Manchmal, wusste sie, wenn er sich tief innen berühren ließ von der Hand des Liebenden, gaben seine Augen mit einem kleinen Wimpernschlag eine Träne her, die dann frei rinnen durfte, über die Wangen zum Kinn - gesammelt als Tropfen den Weg zur Erde fanden.  Nie hatte er eine Träne abgewischt, denn sie waren ihm heilig. "Heiliges Wasser" hatte er sie genannt und selbst hatte er beim Weinen anderen Menschen nie ein Taschentuch angeboten. "Tränen wollen geweint sein" davon war er fest überzeugt.

Sie schaut wieder auf seine Augen - entdeckte sie da nicht ein klein bisschen Nass in seinem linken Auge? Gleich würde es sich sammeln und mit leichtem Wimpernschlag fließen. Sah es nicht so aus, als bewegte sich der Mundwinkel etwas? Ein unscheinbares Zucken nur? Sie wusste, dann würde er gleich die Augen aufmachen, sich räkeln, sie anschauen, die Rose in seiner Hand entdecken, sie zur Nase führen - und in diesem "DU" wäre alles, der volle Duft der Rose.

Sein "DU" , wie sehnlich hatte sie darauf gewartet, dieses vertraute, dieses zärtliche "DU", das wie ein leichter Hauch jedes mal über ihren Körper glitt, streichelnd und kitzelnd ihre Haut berührte, nackt und bloss - ohne Scham. Denn in diesem "DU" begegnete er ihr ganz, ebenfalls bloß, zugewandt und aus der Tiefe seines Herzens "DU".

Hatten sich sein Lippen nicht eben zu einem kleinen "DU" geformt? Sie konnte sein "DU" hören, sehr leise, wie von ferne. Sie schloss ebenfalls die Augen, der Duft der weißen Rose hatte auch sie erreicht, der Duft wie ein Tanz, eine zärtliche Umarmung, wie ein schweigendes Ineinander - und dann sein "DU". War sein "DU" aus ihrem Herzen - oder hatte er tatsächlich aus seiner Versenkung dieses Zauberwort seiner Liebe geflüstert?  Dann wieder der Duft - eigenartig, sonderbar.

Wie viele Rosen er ihr im Laufe der Zeit geschenkt hatte? Beim ersten Strauss war sie ein wenig enttäuscht. Sie erinnerte sich, dieser mickrige Strauss, fast lieblos eingeschlagen in altes Zeitungspapier, das er umständlich abnahm und das Papier zerknüllt in der einen Hand hielt, in der anderen diese kleinen Rosen, fast alle voll aufgeblüht, nur eine dabei, die sich noch etwas knosbig verschlossen hielt. Feuerrote Blüten und viel grünes Blattwerk verdeckten die krummgewachsenen, dornenreichen Stängel. Er  hielt ihr den Strauss hin, in seinen Augen blitzte kindliche Freude - zum erstenmal dieses Wort "DU" 

Wie hätte sie diese Blumen nicht nehmen sollen? Und doch, der Strauss sah wirklich etwas schedderig aus (damit überzeugt doch der Mann nicht von seiner Liebe!) - abgetakelte, fast schon verblühte Rosen? Also in die Vase stecken und ab in die Ecke..... 

 


Vielleicht hatte er ihre Empörung gesehen, so sehr sie das auch für sich hatte behalten wollen. Er fasste ihren Arm - "schließ die Augen" - so ein knapper Satz, fast im Befehlston, ohne WENN und ABER, keine Bitte, einfach nur: "Schließ die Augen."

Wie von selbst schlossen sich ihre Augen, vielleicht um das feuerrote Elend nicht ansehen zu müssen, vielleicht aber auch, weil sie einfach von seiner Eindeutigkeit überrascht war. Er hob ihren Arm so, dass die Rosen kurz vor ihrer Nase innehielten. Dieser Duft! Strömend tief - wie wenn alle Sinne sich öffnen, wie wenn das Herz zu jubeln beginnt, wie wenn jeder Raum innen sich ausfüllt mir Strahlen - bereit zu empfangen, bereit zu genießen. Und diese Stille - zu riechen, den Duft der Stille, sich darin zu versenken.... wie wenn es innen, in dieser Stille lacht, singt und lacht - alles Äußere abfällt, weit entrückt die Hektik und der Alltag, nur hier, in jeder Faser des Körpers der Duft, sich zärtlich hinzugeben, sich streicheln und liebkosen zu lassen von diesen strömenden Rosen in seiner Hand, die wie ein Hauch ihre Nacktheit berührte. Vorsichtig öffnete sie die Augen; da, der Strauss, feuerrot, in voller Blüte - äußerlich noch derselbe, aber jetzt nicht: "ab damit in die Ecke". Oh, dieser Duft - und dort er, schweigend, hielt seine Augen geschlossen, versenkt. Eine kleine Träne nahm sich den Weg zum Kinn in der gleichen Stille wie er. Sie küsste ihn. Er schwieg, er hätte nicht "mehr" sagen können, als der Duft der Rosen, nur sein "DU" klang in ihrem Herzen.
 

 

So wie jetzt - die weiße Rose in der Hand.        

Schweigend versenkt. Ernst, konzentriert und still. Versenkt in die andere Dimension, in der die Hand des Liebenden ihn berührte. Sie wusste das. Sie wusste auch, dass sie ihn nicht stören durfte. Nur der Duft der Rose sollte ihn berühren, mehr nicht!

So stand sie schweigend da - .......die letzten Minuten mit ihm - bevor man ihn aus der Kapelle brachte. 

 

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